Gestern ist mir
die Zeitschrift „gv-praxis: Die Wochenzeitschrift für professionelle
Gemeinschaftsgastronomie“ (9/2018) in die Hände gefallen. Das „gv“ steht hier
(nehme ich an) nicht für, wie seit „4 gewinnt“ (ein Album der Band Die Fantastischen
Vier; 1992) bekannt, für „Geschlechtsverkehr“, sondern wahrscheinlich für „Gemeinschaftsverpflegung“
(?). Auf Seite 12 dieser Ausgabe des Magazins wird das folgende Thema mit
wilden „pro“- und „contra“-Meinungen … ähm … aufgewirbelt: „Vegane
Kita-Verpflegung. Eine Glaubensfrage?“
Da ich mich seit
vielen Jahren mit dem Thema vegane Ernährung beschäftige und selber
Ernährungswissenschaftler bin, ergänze ich im Folgenden die im Artikel
genannten „Argumente“ durch möglichst objektive Kommentare.
Der folgende Text ist eine
Kritik an den geäußerten Meinungen und am Fehlen von Neutralität und
keineswegs an den diese Meinung vertretenden Personen.
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Einleitung der
Diskussion: [gv-praxis:] „Anfang August eröffnete in Frankfurt am Main [der
einzig coolen Stadt Deutschlands (meine Anmerkung)] die erste vegane Kita [in
Deutschland]. Doch ist eine vegane Ernährung für Kinder verantwortbar?“
Auffällig hier, dass die einleitende Frage nicht neutral positioniert ist.
Sollte nicht auch gefragt werden: Doch ist eine nicht-vegane Ernährung für
Kinder – oder sonst wen – verantwortbar?
Nun zu den
Argumenten:
Argumente
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Kommentare
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Edith Gätjen: Vegane Ernährung
ist verantwortbar, aber Eltern, Erzieher und Koch müssen „eingehend geschult“
sein und über bei veganer Ernährung „kritische“ Nährstoffe – wie Vitamin B12,
Vitamin B2 und Protein – Bescheid wissen.
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Ich stimme zu, dass GUT
GEPLANTE vegane Ernährung verantwortbar ist.
Was „eingehend geschult“
heißen soll, ist hier unklar.
Vitamin B2 ist kein
Nährstoff, den ich in die Top 10 der veganen Nährstoffkunde mit aufnehmen
würde.
Wie wird eine vegane
Ernährung gut geplant? Auf diese Nährstoffe
sollte geachtet werden, d. h. gute Quellen für diese Nährstoffe sollten in die Ernährung eingebaut werden. Außerdem sollten vegane Kinder genügend Kalorien zu sich
nehmen und deshalb nicht zu viele Ballaststoffe verzehren.
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Edith Gätjen: „[…] die
Kinder müssen an die veganen Gerichte herangeführt werden. Ohne Ernährungsbildung
geht das nicht.“
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Was hier „Ernährungsbildung“
bedeutet, ist unklar. Ich würde sagen, das Essen muss gut schmecken, nährstoffreich
und gut verdaulich sein.
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Edith Gätjen: „Von Natur
aus fahren Kinder auf Speisen ab, die vom Volumen her klein sind und
gleichzeitig eine hohe Energiedichte aufweisen wie Ei, Fisch, Käse und
Fleisch.“
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Gewagte Hypothesen:
1) Kinder bevorzugen „von
Natur aus“ kleine Portionen?
2) Kinder bevorzugen
energiedichte Lebensmittel – ja, bei allen Altersgruppen scheint es
evolutionär bedingt diese Tendenz zu geben.
3) Kinder lieben „von
Natur aus“ Ei, Fisch, Käse und Fleisch?
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Edith Gätjen: „[Der Koch]
muss einen Speiseplan kreieren, der wichtige Nährstofflieferanten wie
Getreide, Hülsenfrüchte, Kartoffeln und Nüsse sowie Obst und Gemüse gekonnt
miteinander kombiniert […].“
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Warum hier Kartoffeln –
ein relativ mikronährstoffarmes Lebensmittel – als einziges Lebensmittel
speziell empfohlen wird, ist unklar, aber auch bei der DGE beliebt.
Was „gekonnt [.]
kombiniert“ bedeutet, ist unklar. Heißt es einfach „gekocht/zubereitet“ oder „nach
genauen Anteilen kombiniert“? Das zweite ist nicht notwendig.
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Edith Gätjen: „Eine
nährstoffschonende, frische Zubereitung ist obligat.“
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Die Verwendung von
komischen Wörtern und vagen Beschreibungen ist nicht gerade hilfreich. Eine
vegane Lasagne könnte zum Beispiel am ersten des Monats zubereitet werden und
erst Ende des Monats serviert werden. Wäre das „frisch zubereitet“? Was
spräche dagegen?
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Edith Gätjen: „Ich halte
es zudem für notwendig, dass eine UGB-geschulte Diätassistentin oder
Oecotrophologin die Kita beratend begleitet.“
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Hier wird sämtliche
Neutralität anscheinend über Bord gekippt.
1) Warum ist eine Schulung
durch den UGB (Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung e. V.) notwendig?
Vielleicht weil Edith Gätjen bei diesem Verein mitwirkt (nehme ich an)?
Unabhängig oder voreingenommen?
2) Nebenbei bemerkt gibt es nicht nur weibliche Diätassistenten/Oecotrophologen, sondern auch noch Ernährungswissenschaftler und Männer und Frauen allgemein, die sich mit veganer Ernährung gut auskennen. |
Heiko Witt (ein „Ernährungsmediziner“):
„[…] [vegane Ernährung im Kleinkindalter] ist zumindest nicht sinnvoll.“
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Was ist genau ein „Ernährungsmediziner“?
Ein Arzt, der es nicht für notwendig hält Ernährungswissenschaften zu
studieren, um Ernährungswissenschaftler zu sein?
Warum ist eine gut
geplante Ernährung nicht sinnvoll? Weil sie nicht Tierleid verringert,
negative Umweltauswirkungen vermeidet und wahrscheinlich zur Prävention von
Herzkreislauferkrankungen, Nierenerkrankungen, Diabetes Typ 2 und
möglicherweise Krebs beitragen kann?
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Heiko Witt: „Fleischverzehr
war ein wesentlicher Motor der menschlichen Evolution.“
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Eine Theorie, die
wahrscheinlich zutrifft. Zumindest trifft sich ziemlich sicher für
kaloriendichte Nahrung (zum Beispiel Fleisch) zu.
Wesentliche „Motoren“ der Evolution meiner Vorfahren (und der von Herrn Witt) waren auch Mord und Totschlag, Vergewaltigung, Kannibalismus und Sex mit nicht-menschlichen Tieren (besonders Neandertalern). Nur was hat das mit dem Thema zu tun? |
Heiko Witt: „Der Verzicht
auf jegliche tierische Nahrungsquelle ist eine widernatürliche
Ernährungsweise, die aufgrund ihrer Einseitigkeit Gefahren birgt.“
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Bei viele Stammtischen
wäre das vielleicht applausverdächtig, aber nicht gedruckt auf Papier.
1) Was soll „natürlich“
bedeuten? In welcher Fantasiewelt lebt Herr Witt? Einer sehr gut besuchten,
nehme ich an. Inwiefern die Nährstoffversorgung über vegane Lebensmittel „widernatürlich“
und die Nährstoffversorgung über teils vegane und teils nicht-vegane
Lebensmittel „natürlich“ wäre, müsste Herr Witt erklären. Ich empfehle hierzu
das Hinzuziehen eines Professors (m/w) für Tierzucht o. ä.
Selbst wenn eine vegane Ernährung „unnatürlich“ wäre, was hätte das mit dem Thema – „Ist vegane Ernährung für Kinder verantwortbar?“ – zu tun? Wenn eine „unnatürliche“ Ernährungsweise Tierleide verringern, negative Umweltauswirkungen ebenfalls verringern und zur Prävention von Krankheiten beitragen sowie die Gesundheit und das Wohlbefinden verbessern kann, wäre eine solche Ernährungsweise dann nicht „verantwortbar“ bzw. besonders empfehlenswert?
2) Eine GUT GEPLANTE vegane Ernährung birgt keine für die vegane Ernährung charakteristischen Gefahren,
zum Beispiel für Nährstoffmängel.
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Heiko Witt: „Potenzielle
Mangelzustände lassen sich zwar durch eine gezielt geplante Diät verhindern […],
doch bedeutet dies zugleich eine Verkomplizierung des normalen Vorgangs
Nahrungsaufnahme.“
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1) Hier bestätigt der
Autor, dass seine Behauptung zwei Sätze vorher, vegane Ernährung [an sich] berge
Gefahren, falsch ist.
2) Das Wort Diät bedeutet
laut Duden eine „auf die Bedürfnisse eines Kranken, Übergewichtigen o. Ä.
abgestimmte Ernährungsweise“. Diese Wortwahl anstelle ist wahrscheinlich
nicht zufällig oder versehentlich, sondern möglicherweise (nehme ich an) eine
vom Autor absichtlich gewählt Nicht-Neutralität, ein Versuch „vegane
Ernährung“ mit Krankheit und Nicht-Gesundsein in Verbindung zu bringen.
3) Wie genau eine vegane
Ernährung die Nahrungsaufnahme in einer Kita verkompliziert, müsste der Autor
erklären.
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Heiko Witt: „[…] so gibt
es doch etliche Berichte über schwere Vitamin B12-Mängel im Kindesalter [bei
veganer Ernährung ohne B12/ohne ausreichenden B12-Gehalt].“
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Oh ja. Es gibt sehr
viele solche Einzelfallberichte. Vegane Ernährung, die NICHT GUT GEPLANT
ist und kein Vitamin B12 enthält, ist keinesfalls für irgendwen zu empfehlen.
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Heiko Witt: „Der Vitamin
B12-Bedarf lässt sich nur unzureichend durch pflanzliche Nahrungsquellen
decken. Hier ist eine Supplementierung zwingend erforderlich.“
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Hier ist es sinnvoll, den
Sachverhalt präzise (d. h. richtig) zu beschreiben und ihn nicht nur
anzudeuten: Der Vitamin B12-Bedarf lässt sich praktisch nicht durch nicht-angereicherte
vegane Lebensmittel decken.
Eine Zufuhr von Vitamin B12 über Supplemente und/oder mit Vitamin B12 angereicherte Lebensmittel, die dieses Vitamin in ausreichenden Mengen liefern, ist zwingend erforderlich.“
Wo genau liegt das
Problem?
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Heike Witt: „Eine gesunde
Ernährung, bei der man Pillen schlucken muss, um lebenswichtige Nahrungsbestandteile
[gemeint sind Nährstoffe] zuzuführen?“
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An dieser Stelle passt ein
Zitat eines tatsächlichen Ernährungswissenschaftlers, eines Professors im
Bereich Ernährungswissenschaften an einer deutschen Hochschule (den ich hier
nicht namentlich nenne):
„Die Ernährungswissenschaften in Deutschland sind
komplett versaut von Ideologie.“
Empfiehlt der Autor, die
Abschaffung der Jod-Anreicherung von Salz, der Nährstoff-Anreicherung von
Lebensmitteln im Allgemeinen, der Supplementierung mit Vitamin D im zentraleuropäischen
Winter, der Nicht-Empfehlung von Nährstoff-Supplementen während der Schwangerschaft, die Ablehnung von Eisen-Supplementen bei Eisenmangel, die grundsätzliche Ablehnung von Supplementen mit langkettigen Omega-3-Fettsäuren, der Verwendung von Nährstoff-Anreicherung in der Tierzucht (Produktion
von tierischen Lebensmitteln) und/oder des Einsatzes von Kunstdünger (N-P-K-Dünger)?
Falls ja, aufgrund von welcher Evidenz? |
Heike Witt: [In Bezug auf
das vorherige Statement:] „Essen wird zum medizinisch betreuten Vorgang.“
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Ärzte und andere „medizinisch“
(engere Definition von Medizin, die Prävention durch Ernährung nicht
beinhaltet) geschulte Personen haben im Allgemeinen kein Fachwissen zu
Ernährung – schon gar nicht zu veganer Ernährung. Wie sollten solche Personen
dann vegane Ernährung „medizinisch“ betreuen?
Nährstoff-Supplemente sind
laut deutschem und europäischem Gesetz Lebensmittel, keine Medikamente oder
andere „medizinische“ Produkte.
Erneut ist hier unklar,
über welches Thema der Autor eigentlich spricht/schreibt.
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Heiko Witt: „Jeder mündige
Bürger mag nach seiner Façon selig werden, die i[h]m als angemessen erscheinende
Ernährungsweise praktizieren oder sich Aluhüte aufsetzen.“
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Fast ironisch, dass der
Autor, der im gesamten Artikel allein seine eigenen voreingenommenen
Weltanschauungen und seine Verweigerung von Neutralität als Argument gegen
vegane Ernährung aufbringt, hier versucht mit den Begriffen „selig“ und „Aluhüte“
Befürworter von veganer Ernährung allem Anschein nach als Spinner bzw. nicht
rational denken wollende, sich der Neutralität verweigernde Anhänger von
Religion bzw. abstruser Ideen abtun will.
Wer ist derjenige, der
sich einer rationalen Auswertung des Themas verschließt?
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Heiko Witt: [In Bezug auf
das vorherige Statement:] „Kita-Kinder gehören sicherlich nicht zur Gruppe
der mündigen Bürger – und sind auch kein geeignetes Experimentierfeld
elterlicher Weltanschauungen.“
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1) Fast ironisch, dass der
Autor hier die – allen Veganern schon tausendmal vorgetragene – Meinung
verkündet, vegane Ernährung sei weltanschaulich beeinflusst, während
nicht-vegane Ernährung das nicht sei. Wo bleiben Neutralität und rationales
Denken? Anscheinend auf der Strecke.
2) GUT GEPLANTE vegane
Ernährung ist ein Experiment mit Kindern? Und herkömmliche, in Deutschland
übliche Ernährung bzw. auch eine nach DGE-Empfehlungen ausgerichtete Ernährung
sind dies nicht?
Welche Evidenz spricht für
GUT GEPLANTE vegane oder anderweitig pflanzenbasierte Ernährung für Kinder?
Welche ethischen Überlegungen (human- und tierethisch) sprechen dafür? Welche
Evidenz spricht für die Überlegenheit nicht-veganer Ernährungsweisen
gegenüber GUT GEPLANTER veganer Ernährungsweisen in Bezug auf Krankheitsprävention
und Sicherheit vor Nährstoffmängeln und Umweltauswirkungen und
wirtschaftlicher sowie ethischer Aspekte?
Und aufgrund von magerer Evidenz auf dem Gebiet: Welche Erfahrungswerte sprechen dafür? |
Was die Deutschen von den verhassten Amerikanern lernen können: was nochmal Wissenschaft ist.