English español (November 2009)
Dan
Lyons ist Leiter der Kampagnen bei Uncaged.
Er ist einer der sachkundigsten Experten im Vereinigten Königreich zum Thema
Tierversuche und der politischen Rolle der Vivisektion. Er erhielt seinen
Doktortitel (PhD) für seine Forschungsarbeiten über die Entwicklung der
britischen Tierversuchspolitik. Für seine Forschungsarbeiten wurden ihm außerdem
zwei Preise verliehen, der von Plamil
gesponsorte Arthur Ling Memorial Award
und der Andrew Gamble Prize for the
Outstanding Thesis of 2006-7, der von einem wissenschaftlichen Gremium des
Fachbereichs Politikwissenschaft an der Universität von Sheffield verliehen
wird, die eines der drei renommiertesten Zentren für Politikwissenschaft in Großbritannien
ist.
Ich bin seit ca. 17 Jahren vegan. Als Jugendlicher fing ich an, Fleisch wegzulassen, besonders rotes Fleisch, aus einer Mischung aus gesundheitlichen und ethischen Gründen. An der Universität wurde ich dann Vegetarier, da ich andere Vegetarier traf und auch für mich selber kochen konnte. Ich wurde Mitglied bei der studentischen Tierrechtsgruppe an der Universität Sheffield – und das hat mir die Augen geöffnet für das Leiden, die die Tiere in der Milchindustrie erfahren und da gab es auch ein soziales Umfeld, in dem vegane Werte vorgelebt wurden.
2)
Auf der einen Seite gibt es das moralische Argument – alle Tierversuche sind
aus moralischer Sicht abzulehnen. Auf der anderen Seite gibt es das
wissenschaftliche Argument, dass Tierversuche wissenschaftlichen Fortschritt
behindern. Könntest du das wissenschaftliche Argument gegen Tierversuche
erklären?
Die bedeutendste wissenschaftliche
Schwachstelle der Tierversuche ist, dass in Tieren erzeugte Krankheitsmodelle
in einer Laborumgebung nicht den Situationen entsprechen, die sie angeblich
nachstellen sollen – Menschen in viel komplexeren Lebenssituationen. Erstens
gibt es biologische Unterschiede zwischen verschiedenen Spezies (und genau
genommen auch zwischen verschiedenen Subspezies und verschiedenen
Altersgruppen/Geschlechtern innerhalb der gleichen Spezies). Weil
Tierorganismen sehr komplexe Systeme sind, hat ein Unterschied bei einem
Vorgang – z.B. die Zeit, die es dauert, bis ein Medikament wieder aus dem
Körper ausgeschieden wird, sagen wir bei Ratten und Menschen – einen
Dominoeffekt durch das gesamte restliche System. D.h. man kann über die
Speziesgrenze hinweg Ergebnisse nicht auf verlässliche Weise übertragen und
vorraussagen.
Zusätzlich müssen Wissenschaftler,
wenn sie versuchen menschliche Krankheiten in Tieren nachzustellen, die
Krankheit künstlich reproduzieren – und deshalb sind die Phänomene, die sie
tatsächlich im Labor untersuchen, verschieden von dem, was wirklich untersucht
werden soll: menschliche Krankheiten. Es gibt auch umgebungsbedingte
Unterschiede, die die Relevanz von Tierversuchsforschung noch weiter
untergraben. Organismen sind keine atomisierten, isolierten Einheiten. Das
Laborumfeld hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Physiologie der Tiere,
sowohl direkt als auch durch psychischen Stress.
3) Gilt das wissenschaftliche Argument gegen Tierversuche für ALLE Versuche mit nichtmenschlichen Tieren oder gibt es Experimente, die dem wissenschaftlichen Fortschritt dienen könnten?
Ein paar Tierversuche haben in der
Vergangenheit Ergebnisse erbracht, die zur Entwicklung von Medikamenten
beigetragen haben. Aber auch eine äußerst
schwache Forschungsmethoden führen zu einem kleinen Anteil an Ergebnissen, die
sich im Nachhinein dann als nützlich herausstellen. Das bedeutet nicht, dass
diese Methodik zulässig wäre. Die grundlegenden Schwächen von Tierversuchen als
Methode zur Vorhersage bilogischer Vorgänge beim Menschen zeigen, dass
Tierversuche aus wissenschaflicher Sicht keine zulässige Methode sind und
allein aufgrund dessen abgeschafft werden sollten.
4) Welche Arten von Tests sollten an
Stelle von Tierversuchen durchgeführt werden – besonders um Medikamente zu
testen?
Historisch gesehen sind Methoden, die
mit Menschen arbeiten, vernachlässigt worden – aufgrund einer in der
Wissenschaft dominierenden Ideologie, die Laborversuche an Tieren als
Ersatzmodellen als Priorität hingestellt hat, gegenüber realistischeren
Beobachtungen und Studien. Laborversuche an Tieren basieren von jeher auf
eigennütziger fachlicher Bequemlichkeit, auf Kosten von wirklicher Relevanz. In
Laborversuchen ist es relativ einfach, umfangreiche Datenmengen hervorzubringen
und den Anschein zu erwecken, man kontrolliere die externen Variablen, was ein
Trugbild einer „wissenschaftlichen Methode“ hervorbringt. Aber gleichzeitig
wird die Forschung von der realen Welt abgehoben und stellt nur noch eine
abstrakte, auf Veröffenlichung in wissenschaftlichen Journalen abzielende
Ausübung dar, ohne einen verlässlichen Beitrag zur Humanmedizin zu leisten.
Wenn Wissenschaftler identische Tierversuche in verschiedenen Laboren durchführen
können und zu verschiedene Ergebnissen gelangen, zeigt das, dass dies eine sehr
ungenaue und unverlässliche Methode ist.
Der Prozess der Abschaffung von
Tierversuchen für medizinische Zwecke wird zunächst das Sammeln von noch mehr
für Menschen relevantem Datenmaterial erfordern – eine Aufgabe, die bis jetzt
vernachlässigt worden ist. Sobald wir einmal die zelluläre Grundlage von
menschlichen Krankheiten besser verstehen, öffnet das die Tür für neue
sogenannte Biomodul-Systeme, die verwendet werden, um die Auswirkungen
potenzieller Medikamente auf Zellen zu testen. Indem man verschiedene dieser
Biomodule verbindet, kann man ein „quasi
vivo“-System erzeugen. Zum Beispiel das Verbinden von Biomodulen, die Haut-
und Leberzellen enthalten, macht es den Wissenschaftlern möglich,
„Kommunikation“ zwischen den verschiedenen Gewebetypen zu beobachten und
Reizungen genauer vorherzusagen.
Die US Environmental Protection Agency unterstützt jetzt eine ganz neue
Herangehensweise für Tests, die das Benutzen von Tieren zurückweist – zugunsten
einer Herangehensweise, die sich auf die Identifizierung und Auswertung
zellulärer „Feedback-Pfade“ konzentriert, die negative gesundheitliche
Auswirkungen verursachen, wenn sie unter realistischen Bedingungen ausreichend
durch Verschleiß, Krankheitserreger oder Umwelteinflüsse gestört werden.
Diese neuen Methoden, zusammen mit klinischen Beobachtungen, Computer-Modellen und der Verabreichung von Mikrodosen an Freiwillige und Patienten, können bessere, effizientere und natürlich ethisch vertretbarere medizinische Forschung und Versuchsmodelle darstellen.
Diese neuen Methoden, zusammen mit klinischen Beobachtungen, Computer-Modellen und der Verabreichung von Mikrodosen an Freiwillige und Patienten, können bessere, effizientere und natürlich ethisch vertretbarere medizinische Forschung und Versuchsmodelle darstellen.
5)
Könntest du eure Kampagne für den Boykott von Procter & Gamble
erklären? Warum Procter & Gamble? Wie kann man die Kampagne
unterstützen, wie kann man andere für den Boykott gewinnen – und kann so ein
Boykott zu weniger Tierversuchen führen?
Procter & Gamble sind der weltweit größte Hersteller
von Konsumgütern, der immer noch für Kosmetika, Drogerie- und Haushaltsartikel
Tierversuche durchführt. Procter & Gamble stellt u.a. Herbal
Essences, Oil of Olaz (Olay), Max Factor, Ariel
und Pantene Pro V her. Die
Größe von Procter & Gamble macht diese Firma zu einer enorm
einflussreichen Organisation. Ein Magazin der Branche schrieb dazu: „Was
Procter & Gamble macht, machen andere nach.“ Obwohl einige kleinere
Firmen auch Tierversuche durchführen, verdient Procter & Gamble
besondere Kritik, weil Macht auch Verantowortung bedeutet. Außerdem hoffen wir
bei Uncaged, dass wir, dadurch dass wir Procter
& Gamble zum Ziel machen und beeinflussen, einen Dominoeffekt innerhalb
der gesamten Branche erzeugen können.
Procter & Gamble sagt, dass Leute, die ihre Produkte
kaufen, ihre Stimme für das Unternehmen Proctor & Gamble abgeben.
Wenn man Procter & Gamble Produkte kauft, stimmt man aber ebenso für
grausame und unnötige Tierversuche.
Wenn man im Gegensatz dazu Procter
& Gamble boykottiert, stimmt man für eine Zukunft mit mehr Mitgefühl.
Ein Boykott ist die wichtigste moralische Aktion, die die Leute unternehmen
können, um Missbilligung auszudrücken und um ein Unternehmen mit unethischen
Praktiken abzulehnen. Indem man diese gewissenhafte und positive Wahl trifft
und diese Produkte boykottiert, kann jeder einzelne etwas bewirken. Zusammen
können wir durch Öffentlichkeitsarbeit und Einkommensverluste Procter &
Gamble dazu anregen, ihre Tierversuche einzustellen.
6)
Könntest du uns eure Projekte International Animal Rights Day (IARD) und Universal Declaration of Animal Rights
vorstellen? Was ist das Ziel dieser Kampagnen?
Die Kampagne von Uncaged
– allgemeine Universal Declaration of
Animal Rights (Erklärung der Tierrechte) – ist die einzige größere
Initiative, die zum Ziel hat, die grundlegenden Werte der Tierrechtsbewegung zu
verbreiten. Der internationale Tierrechtstag (IARD) am 10. Dezember ist ein Aktionstag, um die zwingenden
Gründe für Tierrechte aufzuzeigen.
Ich denke, es ist entscheidend, dass
wir als Tierrechtsaktivisten einen Teil unserer Mittel darauf verwenden, den
Leuten die elementaren, rationalen Begründungen für Tierrechte zu vermitteln.
Obwohl die Idee von Tierrechten den Menschen, die mit diesem Thema nicht
vetraut sind, radikal erscheint, wissen wir, dass Tierrechte einfach die
rationale Umsetzung von Mitgefühl, das die meisten Menschen besitzen, und der
Werte einer wirklich zivilisierten Gesellschaft sind. Die Anerkennung von
Tierrechten ist eine essenzielle, grundlegende Überzeugung, die etabliert
werden muss, damit Einzelpersonen in unserer Kultur und unserem Rechtssystem
barbarische Praktiken wie Tierversuche oder Massentierhaltung beenden und die
Gewaltherrschaft und Unterdrückung, die die Tiere erleiden, verringern können.
7)
Hast du irgendwelche Tipps, um Aktivismus für Veganismus und Tierrechte so
effektiv wie möglich zu gestalten? Wie kann man Kampagnen gegen Tierversuche
verwenden, um den Menschen Veganismus und Tierrechte näherzubringen?
Es ist absolut notwendig zu verstehen,
wie Menschen und die Gesellschaft „funktionieren“, anstatt einfach anzunehmen,
dass alle wie wir selber sind. Die Menschen sind generell nicht sehr rational
und übernehmen ihre moralischen Werte hauptsächlich von ihrem sozialen Umfeld.
Wir sind auch Gewohnheitstiere. Deshalb benötigen radikale Veränderungen
normalerweise Zeit. Wir müssen etwas, das man in der Diskurstheorie „Witcraft“
nennt, anwenden, d.h. wir müssen individuelle und kulturelle Sichtweisen
verändern, indem wir eine Sprache verwenden, die den Leuten vertraut ist, sie
aber auf einen fortschrittlichen Weg in Richtung Tierrechte und Veganismus
führt.
Kampagnen gegen Tierversuche können
die Leute darauf aufmerksam machen, wie Tiere misbraucht werden, und ihnen klar
machen, wie wichtig gesetzlich festgelegte Tierrechte sind, um sie vor diesem
Misbrauch zu schützen. Wenn man einmal mit den Menschen kommuniziert, ist es
viel einfacher, die ethischen Fragen bezüglich des Essens von Tieren
aufzubringen und sie dazu zu ermutigen, sich auf den Weg zum Veganismus zu
begeben.
8)
Hast du irgendwelche Tipps für Menschen, die in Ländern, in denen diese
Bewegung noch sehr jung ist, gegen Tierversuche und für Tierrechte aktiv werden
wollen?
Auf gewisse
Weise bin ich neidisch auf ihre Situation, weil die Neuheit dieses Themas an
sich mehr Aufmerksamkeit erregen kann – „der Schock des Neuen“ ist ein
Sprichwort bei uns. Ich denke ein äußerst wichtiger Punkt ist es, dass man die
Öffentlichkeit und die Medien nicht abschreckt, weil, wenn man das tut, sie
einem nicht mehr zuhören und eine Veränderung somit schwieriger wird.
Wenn man neu anfängt, sozusagen mit
einer „weißen Weste“, hat man die Chance, die Verbreitung von Tierrechten auf
positivem Kurs zu halten. Wir sollten nicht den Fehler machen, zu sich um sich
selbst drehenden, eingeschworenen Gemeinden oder sektenähnlichen Verbindungen
zu verkommen – wir können keine Tiere retten, ohne die politische Stärke einer
echten Massenbewegung zu haben.
9)
Der Grund, aus dem nichtmenschliche Tiere für Nahrungsmittel und andere Produkte
getötet werden, ist die Nachfrage der Allgemeinbevölkerung nach diesen
Produkten. Aber bei Tierversuchen geht es nicht einfach um Angebot um
Nachfrage. Was sind die wirklichen Gründe, aus denen Tierversuche durchgeführt
werden – und was ist die Lösung, um Tierversuche abzuschaffen? Sollten
Kampagnen auf die Allgemeinbevölkerung oder bestimmte Institutionen abzielen?
Erstens, denke ich, dass dein erster Satz die Situation nicht komplett erfasst und eine individualistische, positivistische Ontologie veraussetzt, die nicht nur empirisch fehlerhaft ist, sondern oft reaktionäre und konservative Politik stützt.
Erstens, denke ich, dass dein erster Satz die Situation nicht komplett erfasst und eine individualistische, positivistische Ontologie veraussetzt, die nicht nur empirisch fehlerhaft ist, sondern oft reaktionäre und konservative Politik stützt.
Die Wünsche und die Nachfrage der
Menschen enstehen nicht in einem Vakuum. Außer kultureller Gewohnheit, erhält
die politische und wirtschaftliche Macht der Tierprodukt-Industrien das
gegenwärtige Ausmaß des Tierproduktkonsums aufrecht.
Aber du hast recht, dass Tierversuche,
außer bei Tests für Konsumgüter, die einen relativ kleinen Teil ausmachen,
sogar noch mehr vom Verhalten der Konsumenten isoliert ist. Was heute passiert,
ist stark von der Geschichte beeinflusst. Tierversuche wurden im späten 19.
Jahrhundert institutionalisiert – von mächtigen Interessengruppen auf dem
Gebiet der Physiologie und Medizin, die Tiere als fast reine Automaten ansahen
und glaubten, Ratten seien im Wesentlichen biologische Miniaturversionen von
Menschen. Unsinnigerweise verliehen diese Praktiken der Physiologie und Medizin
eine Fassade von wissenschaftlicher Seriösität, die deren beruflichen Stand und
ihre politische Macht emporhoben. Sobald die Praktiken und die Macht der
Vivisektoren institutionalisiert waren, konnten sie ihre eigenen Regeln erschaffen.
Die Freiheit, Tierversuche durchführen zu dürfen, basiert mehr auf beruflichem
Stolz und beruflicher Unabhängigkeit, als auf dem Wunsch, der Menschheit zu
helfen. Ihre Rolle bei der Vermarktung pharmazeutischer Produkte seit dem
zweiten Weltkrieg stärkte zudem ihre strukturelle Macht.
Um Tierversuche abzuschaffen, müssen
wir sicherlich die Öffentlichkeit ansprechen, weil die öffentliche Meinung und
deren politische Handlung unser größter potenzieller Vorteil ist. Aber manchmal
müssen wir auch versuchen mit der „Gemeinde der Wissenschaftler“ auf
konstruktive Weise zu kommunizieren, weil sie, ob uns das gefällt oder nicht,
den Schlüssel in der Hand haben. Egal wie sehr wir sie missbilligen – sie
werden nicht einfach plötzlich verschwinden. Und schließlich müssen wir
politschen Druck ausüben, weil Tierversuche letztendlich nur durchgeführt
werden, weil Politiker das erlauben. Politiker handeln natürlich auch nicht in
einem Vakuum und sind heftigem politischem Druck der Tierversuchsindustrie
ausgesetzt. Deshalb müssen wir eine Kombination verschiedener Methoden
anwenden, um einen positiven Kreislauf (das Gegenteil von einem Teufelskreis)
hervorzurufen, in dem positive Veränderungen im sozialen, wissenschaftlichen
und politischen Bereich sich gegenseitig stärken.
10)
Hast du irgendwelche Prognosen für die Zukunft von Tierversuchen?
Im Großen und Ganzen denke ich, dass
die Zahl von Tierversuchen zurückgehen wird. Die Entwicklung einer komplett
neuen Herangehensweise ohne Tierversuche wird nicht nur auf diesem Gebiet
Millionen von Tieren jährlich das Leben retten, sondern auch den Einsatz von
tierversuchsfreien Ersatzmethoden in der Grundlagenforschung im Bereich der
Biologie fördern.